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Als sich noch die beiden Supermächte Sowjetunion und USA feindlich gegenüberstanden, mit Atombomben hochgerüstet alle beide, hieß es, es könne Krieg zwischen ihnen nur geben um den Preis völliger Vernichtung menschlichen Leben auf der Erde.


DER ALTERNATIVE KRIEG

 

Der Krieg ist ein wahrer Motor wirtschaftlicher Konjunktur. Er schneidet dem Arbeitskräfteüberschuß die Spitze ab, indem er zunächst Arbeitslose in Soldaten verwandelt, später dann Soldaten in Leichen. Lebende Soldaten kriegen keine Stütze, tote Soldaten brauchen keine. Der zweite konjunkturfördernde Effekt des Krieges liegt in seiner Bedarfsschaffung begründet. Was hin ist, muß wieder auf­gebaut werden. Die Gefahr einer Überproduktionskrise - vor der unsere kapitalis­tische Wirtschaft so zittert, wie vor nichts sonst, den Teufel eingeschlossen - ist nach einem Krieg für längere Zeit gebannt.

So weit, so prächtig

Nun hatten allerdings bereits die klassischen Kriege einen unerfreulichen Neben­effekt, den ein human gesinnter Mensch auf's Schärfste bedauern muß. die Begleitumstände, unter denen sowohl die Ausdünnung der Bausubstanz als auch die geschilderte Populationsverschlankung vor sich gehen, sind meist über die Maßen chaotisch, entziehen sich geordneter Verwaltung und sind zudem für die betroffe­nen Bevölkerungsausfälle oft wenig erheiternd. Hinzu kommt, daß die Bedingungen eines künftig zu erwartenden Atomkrieges die geschilderten positiven Auswirkun­gen auf die Volkswirtschaft kaum mehr erwarten lassen. Die begrenzte und gerade deshalb so fruchtbare Zerstörung, wie sie ein klassischer Krieg mit sich brach­te, ist - zumindest für Europa - nicht mehr wahrscheinlich. Was nach dem Vertei­digungsfall aus den Bunkern kriecht, wird die Segnungen der Zerstörung und die Impulse des Wiederaufbaus nicht mehr recht genießen können, strahlungshalber.

Den guten, alten Krieg bekommen wir nicht mehr, ohne ihn aber erstickt der Kapi­talismus entweder an seinem eigenen Wachstum oder an dessen Unmöglichkeit. Neue, vorwärtstreibende Ideen sind gefragt.

Ich habe eine.

Sollten die beiden Supermächte eines - nicht allzu fernen - Tages auf die Idee kommen, Kalter Krieg und Entspannungspolitik und Stellvertreterkrieg mache kei­nen rechten Spaß mehr, jetzt sei Zoff angesagt, so mögen sie sich zusammensetzen und mal überlegen: Ist es nicht ein Wahnsinnsaufwand, wenn amerikanische Raketen nach Moskau fliegen und dort alles zu Klump hauen, während sowjetische Geschosse zur gleichen Zeit die New Yorker braten? Wenn bundesdeutsche Kanonen Magdeburg einäschern, während deutschdemokratische Truppen die Einwohner von Hof massakrie­ren? Könnte dies - so mein bedenkenswerter Vorschlag - nicht jede der kriegfüh­renden Parteien selbst erledigen?

Lange, jahrtausendelange Erfahrung hat uns gelehrt, daß, wer immer einem nicht zur Gänze wehrlosen Gegner eine reinsemmeln will, stets selbst ordentlich was abbekommt, unvermeidlicherweise. Fragen Sie Napoleon, fragen Sie Max Schmeling. Zu Zeiten, da der Krieg ein sportliches Ereignis unter Gentlemen war, mochte man diese Erkenntnis mit einem Achselzucken abtun und fortfahren im wechselseitigen sich Verhauen und Aufschlitzen. Hatte doch damals das gegenseitige Verdreschen vor jeder Selbstvermöbelung doch einen praktischen Sinn: So - und nur so - ließ sich feststellen, wer schwächer war, wer also gerechterweise - oder gezwungenermaßen, was dasselbe ist - die meisten Schläge zu bekommen hatte, überdies Kriegsbeute rausrücken mußte. Heutzutage dagegen macht ein Atomkrieg im Ergebnis keinen Unterschied mehr von Belang zwischen Siegern und Ver­lierern. Neue Zeiten aber verlangen nach neuen Problemlösungen.

Nehmen wir also einmal an, ein neuer Krieg, wenn er sich denn konventionell führen ließe (nur unter dieser unrealistischen Voraussetzung hat jede Hochrech­nung auf eine Nachkriegszeit einen Sinn) - ein neuer Krieg also würde beim Sie­ger 20 % der Bausubstanz vernichten, beim Verlierer hingegen 30 %. 30 % der Soldaten verlören ihr Leben, dazu kämen 20 % der Zivilbevölkerung - beim Sie­ger. Beim Verlierer lägen die entsprechenden Quoten bei 40 % bzw. 30 %. Über die hier zugrundeliegenden Zahlen läßt sich natürlich im Einzelnen streiten; unrealistisch geschönt sind sie in jedem Falle. Experten könnten sie - im Falle, mein Vorschlag findet generell Zustimmung - im Rahmen eines Forschungsprojektes noch nach oben oder unten korrigieren. Auf die Stimmigkeit und Sinnhaftigkeit des Planes hätte dies keinen Einfluß - solange man nicht die exorbitanten Zer­störungs- und Vernichtungsquoten eines wirklichen Krieges einsetzt.

Vom pragmatischen, nüchtern sachlichen Standpunkt aus spricht nichts dagegen, daß jede der Hohen Kriegführenden Parteien die zu erwartenden Schäden bei sich selbst anrichtet, statt dies dem brutalen, gemeinen, hinterhältigen - kurz: bö­sen - Feind zu überlassen. Die Häuser und Fabriken ließen sich vor der Sprengung sauber und ordentlich evakuieren, niemand wird dabei zu Schaden kommen. Die zu tötenden Menschen sind human und schmerzfrei in "Heim-Kriegs-Zentren" (HKZ) einzuschläfern und sodann ohne Gefahr von Seuchen hygienisch zu beseitigen. Durchaus berechtigtem Mißtrauen Rechnung tragend, ist die ordnungs- und absprache­gemäße Abwicklung dieser Prozedur von einem neutralen Gremium der UN zu über­wachen. Der Krieg verliert auf diese Weise viel von seiner Verbissenheit, läßt sich - ohne Verlust an ökonomischer Effizienz - entspannter, lockerer betreiben. Der Feind behält sein menschliches Antlitz, es brauchen der Krieg und seine Fol­gen nicht mehr so schrecklich persönlich genommen zu werden, dem Völkerhaß ist jeglicher Boden entzogen.

Die Auswahl der zu zerstörenden Objekte, der zu tötenden Menschen wird im Zeitalter des Computers keine wirklichen Schwierigkeiten machen. Zwar sind die Russen computermäßig noch etwas zurück, wie man hört. Amerikaner, Japaner und bun­desdeutsche Experten können hier aber den Sowjets mit Soft- und Hardware brüder­lich zu Hilfe kommen. Fairerweise dürfen kerntechnische Einrichtungen von der planmäßigen Zerstörung nicht ausgenommen werden; es stiegen die Börsenkurse einschlägiger Aktien ansonsten unangemessen - weil künstlich induziert - in die Höhe, mit möglicherweise schädlichen Folgen für das labile Gleichgewicht der Volkswirtschaft. Allerdings ist vor der Sprengung nuklearer Anlagen pein­lichst auf die vorherige Auslagerung des radioaktiven Materials zu achten. Eine Maßnahme der Menschlichkeit und Vernunft, die im gewohnten Alltagstrott herkömmlicher Kriegshandlungen oft nicht gewährleistet ist.

Der Zeitpunkt ist nicht mehr fern, da jeder von uns seine ganz individuelle Per­sonenkennziffer haben wird. Durch Zufallsprogramme werden nun die Kennziffern jener Personen ausgelost, welche sich zu festgesetztem Termin in ihrem lokalen "Heim-Kriegs-Zentrum" einzufinden haben, um dort ihre Pflicht als Staatsbürger getan zu bekommen. Um auch diese - psychologisch vermutlich etwas belastende -Seite des Projektes so human wie möglich zu gestalten, wird man dem amtlichen Endzeitbescheid eine Großpackung eines handelsüblichen, auf seine Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüften, Beruhigungsmittels beilegen, dem Individuum die Wartezeit etwas zu verkürzen und zu versüßen.

Damit das Auswahlverfahren so realitätsnah wie möglich wird, ist es ratsam bis unvermeidlich, statistische Gewichtungsfaktoren für die einzelnen Bevölkerungs­gruppen und Dienstgrade der Armee einzuführen. Generale starben auch in früheren Kriegen nicht so häufig wie das 08/15-Kanonenfutter. Je höher ein Individuum in seinem gesellschaftlichen Rang einzuordnen ist, desto geringer wird seine Chance sein, das schwarze Los des HKZ zu ziehen. Dieser Gewichtungsfaktor wird überdies die Akzeptanz der Heim-Kriegs-Führung bei den letztlich relevanten Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Politik und Medien spürbar erhöhen.

Nach aller menschlicher Erfahrung ist natürlich damit zu rechnen, daß ein ge­wisser - und vermutlich gar nicht so geringer - Prozentsatz der Erwählten ver­suchen wird, sich der patriotischen Pflicht zu entziehen. Sie werden auf Valium oder dergleichen scheißen und lieber irgendwo untertauchen. Dies scheint zu­nächst ein Moment des Chaos und der Anarchie in ein System der Ordnung und Gerechtigkeit zu bringen. Aber: damit kommt zugleich auch das Motiv des Sport­lichen, der frisch-fröhlichen Jagd zurück in eine ansonsten allzu seelenlose Art der Kriegführung; ein Stück Romantik wird bewahrt. Man bewaffne Freiwillige aus der Mehrheit der nicht zu Beseitigenden und schicke sie auf die Jagd nach den Drückebergern und HKZ-Verweigerern, motiviere sie mit stattlichen Prämien Die latent immer vorhandene Aggression, die sich in Friedenszeiten oft so staats­gefährdend und gemeinschaftsschädlich auswirkt, läßt sich so produktiv und sinnstiftend nutzbar machen. Auch die Fairness - die jeden Sport so sympathisch und menschlich macht - kommt dabei durchaus zu ihrem Recht: jeder HKZ-Kandidat. der die Tötung eines "Jägers" - und n u r eines "Jägers" nachweisen kann, hat damit einen Ersatzmann - oder eine Ersatzfrau, soviel Emanzipation muß sein - gefunden, braucht also nicht mehr selbst liquidiert zu werden. In ein System des gerechten, aber auch blinden Zufalls kommt so die prickelnde Komponen­te sozialer Auslese: es überlebt der Tüchtigste, Gewandteste, Lebenswerteste.

Wer aber soll Sieger sein in diesem zivilisiertesten aller Kriege, wer Verlierer? Es bietet sich an, die Waffenarsenale und Soldatensilos beider Kontrahenten zu zählen, um dann in einem computer-simulierten Chip-Krieg den Sieger zu ermitteln. Eitel Wahn! Die Diskussion um die richtigen Fakten und das adäquate Computer­programm führte zum Streit und letztlich wieder zu einem stinknormalen Krieg­ oder wenigstens zu einer unschönen Massenprügelei der Eierköpfe. Denkbar wäre ein feierlicher Münzenwurf durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen, in Anwesenheit aller beteiligter Staatschefs und der Weltpresse in Genf. Denk­bar - aber unnötig.

Um des ökonomisch so wohltuenden Effektes willen bräuchte die Frage nach Sieger und Verlierer nämlich gar nicht beantwortet zu werden. Für beide Parteien gleiche Wiederaufbau- und Bevölkerungsausdünnungsquoten genügen vollauf, das angestrebte Ziel der Wirtschaftsankurbelung und Krisenvermeidung zu erreichen. Wir sollten endlich ernsthaft darangehen, uns die ökonomisch unvermeidlichen Kriege so angenehm<wie möglich zu gestalten.

Es könnte sein, daß die Sowjetunion gegen diesen wohlmeinenden Plan Einwände for­mulieren wird; des Inhalts, daß sie Überproduktion in absehbarer Zeit nicht zu fürchten haben wird. Und überhaupts seien das alles kapitalistische Probleme und gingen sie gar nichts an.

Wohl wahr. Wahr ist aber auch, daß der Kapitalismus das Spiel "Zerstören um Wiederaufzubauen" auf jeden Fall spielen wird, weil er es spielen muß. Und er spielt das Spiel auf gar keinen Fall alleine, weil er sich einseitig nicht selbst zu schwächen traut. Es ist also den Sowjets mit allem Nachdruck zu ver­klickern, daß sie entweder mitmachen beim Alternativen Krieg oder beim nächstfälligen Aufbäumen der Marktwirtschaft mit Hops gehen werden.