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Von Maßkrügen und Bomben

Gedanken zum Jugoslawien-Krieg

In einem Leserbrief an den SPIEGEL hat Karin Fontaine in zwei Sätzen die Hintergründe des Jugoslawien-Krieges auf den Punkt gebracht.

Frau Fontaine schrieb: "Einem skrupellosen Machtspieler von vornher­ein zu signalisieren, daß man auf keinen Fall Bodentruppen einsetzen wird, halte ich für unprofessionell. Für Milosevic wirkt dies nur ermutigend, und das hätte man vorher wissen können."

In der Tat, das hätte man vorher wissen können, wie so manches andere auch:

* Daß zum Beispiel ein Bombardement die Wut der Bombardierten so auf­stacheln würde, daß man sich am Anlaß des Bombardements, den Kosova­ren, schadlos halten würde; was geschehen ist.
* Daß ein Kriegsherr, dessen militärische Mittel begrenzt sind, versu­chen würde, den überlegenen Feind dadurch in Bedrängnis zu bringen, daß er ihm eine Armee Flüchtlinge auf den Hals hetzt; was geschehen ist.
* Daß Krieg aus der Luft alleine einen in die Ecke getriebenen Gegner nicht bezwingen wird, so daß der Landkrieg letztlich un­vermeidlich ist; was geschehen wird

So viele Fehler. So viel Idiotie?

Wenn wir unterstellen, daß die Profis in den NATO-Stä­ben und -Regie­rungen tatsächliche und nicht nur angemaßte Profis sind, müssen wir logischer­weise auch annehmen, daß es kein Fehler, sondern vielmehr Zweck der Übung war, die jugoslawische Regierung zu ermutigen, den Krieg tatsächlich zu riskieren. Das hieße in letzter Konsequenz, die NATO wollte den Krieg nicht vermeiden, sondern sie wollte den Krieg, sie hat Jugosla­wien in die­sen Krieg gelockt.

Diese Behauptung steht im Widerspruch zu allen Aussagen zum Krieg, die von NATO-Seite zu bekommen sind. Diese Behauptung ist zu bele­gen.

Kurz vor Beginn des Krieges hatte man in Rambouillet einen Durch­bruch ge­schafft. Es lag ein Vertrag vor, in welchem Jugoslawien sich zu Zuge­ständnissen bereit erklärte; Zugeständnissen, die so weitge­hend waren, daß auch die Seite der Kosovo-Albaner damit glaubte, le­ben zu können. Dieser unterschriftsreife Vertrag sah vor, daß aus­ländische Truppen im Kosovo stationiert würden, um die korrekte Er­füllung des Vertrages zu überwachen. Auch damit - und das ist ein sehr weitgehendes Zugeständnis - war Jugoslawien einverstanden. Wo­mit es nicht einverstanden war, war die Forderung der NATO, es müß­ten diese Truppen unter dem direkten Kommando der NATO stehen.

Nach Einschätzung des SPIEGEL vom 19.4.99 ist dies ein "Punkt, der nicht nur für Milosevic, sondern auch für jede andere ju­goslawische Regierung kaum annehmbar wäre...". Richtig. Das Akzep­tieren dieser Rege­lung hätte für jede denkbare jugoslawische Regie­rung den politischen Selbstmord bedeutet.

Um das zu erkennen, muß ich kein hochkarätiger Profi sein. Ich brau­che dazu weder einen Politologen, noch einen Friedensforscher oder Sozialpsy­chologen. Ein Wirtshausschläger tut's auch.

Jeder, der eine drohende Kneipenprügelei gerade noch abbiegen will, weiß, daß er seinem Kontrahenten die Möglichkeit lassen muß, sich so aus der Affäre zu ziehen, daß er dabei das Gesicht nicht verliert. Jedes "Friedensangebot", das den Gegner demütigt und entwürdigt, treibt ihn di­rekt in die Schlägerei hinein, selbst dann, wenn er weiß, daß er die Schlägerei ver­lieren wird.

Die NATO hat der jugoslawischen Regierung eine nicht demütigende Al­terna­tive versperrt. Milosevic konnte "wählen" zwischen Krieg und einem Aus­weg, den er nicht gehen konnte - und von dem die NATO genau wußte, daß er ihn nicht würde gehen können. Kein einziger der NATO-Regierungs­chefs, niemand von den beteiligten Spitzenmilitärs würde sich in ver­gleichbarer Situation so entscheiden, wie man es von Mi­losevic verlangt hatte. Er wäre am Tag nach der Unterzeichnung eines solchen Abkommens von einer innenpolitischen Explosion hinweg­gefegt.

Woraus folgt: Jugoslawien ist von der NATO in diesen Krieg getrieben wor­den.

Und: die NATO will sich diesen so raffiniert eingefädelten und in­szenier­ten Krieg nicht so schnell wieder vermasseln lassen. Nicht von einem "Wichtigtuer" wie Primakov.

Kurz nach Beginn des Krieges ist der russische Premier nach Belgrad ge­flogen, hat mit Milosevic gesprochen und - kam mit einem konkreten Vor­schlag zurück. Nach nur wenigen Tagen des Bombardements sendet der "Kriegstreiber" Milosevic ein eindeutiges Signal, daß er bereit sei, ein­zulenken. Die Bombardierung hat ihn und sein Land getroffen, er will die­sen Krieg beenden.

Die NATO weist das von Primakov übermittelte Angebot zurück, ohne es auch nur näher geprüft zu haben. "Herr Milosevic weiß, was er zu tun hat, um die Bombardierungen zu beenden. Ein Anruf von ihm bei uns genügt", gibt man kaltlächelnd bekannt.

Einige Wochen später macht sich Herr Tschernomyrdin auf den Weg nach Bel­grad, um erneut seinen, bzw. Rußlands Teil zum Ende der Feindse­ligkeiten beizutragen. Auch er kommt mit einem konkreten Angebot. Und auch dieses Angebot wird von den Politikern der NATO nicht ernsthaft erwogen.

Und damit sind wir wieder bei den Gesetzen der ganz ordinären Wirts­haus­schlägerei.

Der Seppe hat den Franze niedergeschlagen und stiefelt ihn jetzt mit Ei­fer und Genuß. Der Franze schreit ums Aufhören, aber der Seppe meint nur: "Erst mußt sagen: Ich bin ein Arsch." Und so­lange der Franze die gefor­derten Worte - und in der geforderten Form! - nicht spricht, stiefelt der Seppe den Franze munter weiter.

So handelt nicht einer, der - eher widerwillig zur Gewalt greifend - ei­nen aus dem Ruder gelaufenen Rabauken zur Räson bringen will. So handelt einer, der seine Lust darin findet, einen anderen zu schlagen und zu stiefeln,.

So handelt die NATO.

Und so wissen wir, woran wir sind, mit unserer NATO.