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Wie mir einmal der Landesvater erschienen ist

Eine historische Geschichte von früher

Wer am Freitag vor dem Pfingstfest des Jahres 1984 in der Altstadt von Regensburg zu tun hatte, konnte sich nach getanen Geschäften heimwärts begeben wie stets, sofern er den Haidplatz großräu­mig mied. Er konnte sich aber auch - so ihn nichts Dringenderes trieb - direkt zum Haid­platz begeben, sich einen besonderen Kunstge­nuß zu gönnen.

Franz würde kommen, der leibhaftige Josef; Strauß sollte sprechen, der Landesvater.

Am Scheißhaus Vor der Grieb war die Veränderung der Stadt nicht mehr zu übersehen: ein Gitter sperrte den Zugang zum Haidplatz ab, bewacht von grünen jungen Männern.

Die betonte Langeweile des Flaneurs zur Schau tragend, schlenderte ich unbehelligt durch die Schleuse.

Ein reichliches halbes Stündchen war's noch bis zum Beginn der Show, der Haidplatz (inklusive Grünzeug) nicht belebter als sonst auch zu dieser Stunde.

Die Weingasse rein, scharf nach links, zum Imbiß in der Goldenen-Kreuz-Passage, immer noch im Sperrbezirk. Ein halbes Hähnchen war noch drin, ver­zehrt auf Freiluft-Bänken im Innenhof.

Es wurde kein beschauliches Mahl. Beständig wischten, tapsten, hoppelten Grünröcke vorbei; einzeln, meist aber zu mehren, spähend, wichtig seiend. Mit kleinen Transistorradios lauschten sie dem Programm der fröhlichen Welle von "Bayern grün", schalteten sich ab und zu auch selbst in das laufende Programm ein.

Dem aufmerksamen Auge meiner Begleiterin war nicht entgangen, daß das peinlich genau im Partnerlook gekleidete grüne Volk sich in einem winzigen modischen Detail unterschied: etliche trugen auf dunkel(!)grünem Ärmel einen hell(!)grünen Punkt, manche deren zwei, wenige sogar drei davon, während sich die meisten mit ungepunktetem Ärmel in aller Öffentlichkeit zeigen mußten. Unsere Vermutung, die Zahl der Pünktchen weise auf den Rang der Gepunkteten hin, bestätigte sich, als wir beobachteten, wie ein Drei­pünktler einen Zweipunktpolizisten anraunzte, was dieser sich kommentarlos gefallen ließ.

Nach dem Mahle wurde es allmählich Zeit.

Wir platzten mitten in's Vorprogramm. Ein minderrangiger Politiker störte, obwohl durch Lautsprecher verstärkt, nur unwesentlich das fröhliche Lärmen der Leute, welche sich mittlerweile auf dem Haidplatz eingefunden hatten. Viel Volk war allerdings nicht gekommen, bei weitem weniger, als der ohne­hin kleine Haidplatz zu fassen vermocht hätte.

Auf dem Podium waren wohlbeleibte Herren, ein Mikrophon, breitschultrige Männer und etliche Topfpflanzen zu erkennen. Bunte Fahnen waren aufgezogen und rechts vom Po­dium hatte eine rustikal gekleidete Band Aufstellung genommen, welche sich aber vorerst in dem allgemeinen Lärm ruhig verhielt.

Podium und Orchester waren vom übrigen Platz durch ein halbkreisförmiges Gatter abgetrennt, das Publikum also vor Gewaltakten der Akteure geschützt. Unmittelbar am Gatter stand ein kleiner Teil des Publikums, der sich in Kleidung und Verhalten vom Rest deut­lich unterschied. Aus ihren begeisterten Reaktionen durfte man schließen, daß es sich bei ihnen um Angehörige und Freunde der Redner und Blä­ser hinter dem Zaun handelte. Zwischen diesen Leuten und dem Rest des Publikums hatte eine Trachtengruppe Aufstellung genommen, ganz in Grün, mit weißen Plastikhüten auf dem Kopf. Es folgte eine größere Gruppe Publikum, die all ihren Ehrgeiz daran setzte, die elektrisch verstärkten Geräusche des Podiums zu übertönen, was ihr bemerkenswert gut gelang. An kleine Holzlatten hatten sie achteckige Schilder genagelt, welche sie aufgeregt schwenkten. Eine weitere Schicht minnengrüner Trachtler mit Plastikhut hatte sich zwischen sie und den Rest des Publikums geschoben.

Im eigenen Saft geschmortes Demonstranten-Hacksteak zwischen zwei Lagen Bereitschaftspolizei - nach der "Leberwurst-Taktik" vergangener Tage (reinstechen und nach beiden Seiten rausdrücken) nun also der "Demo-Burger" der Achtziger. Die Methoden der Polizei passen sich den gewandelten Essgewohnheiten der Kund­schaft an. Bürgernähe.

Die Mitspieler des Happenings sind vorgestellt, die Ausgangslage dargelegt. Bliebe das Publikum, das Volk, wel­ches bemerkenswert gelassen und friedlich blieb.

Es war der halbwegs den Haidplatz deckende Haufen kein Querschnitt durch das Bayernvolk. Was nahezu völlig fehlte, waren die CSU-Wähler, von denen es außerhalb des Haidplatzes doch einige gibt. Die Erklärung für ihr Fehlen ist denkbar einfach: der Platz war abgesperrt. Wer durch wollte, mußte sich durchsuchen lassen. Laut Presseberichten vermochte nicht mal Altersgrau und Lodengrün zuverlässigen Schutz zu bieten vor amtlicher Neugier. Geh' Muatterl, mach dei' Dascherl auf!

In Anstand und biederer Unauffälligkeit altgewordene Bürger sind sowas nicht gewöhnt, die gehen da nicht durch, meiden die Sper­re. Jüngere Personen mit mindestens einer Demo auf dem Kerbholz, sind da abgebrühter. Demütigungen von seiten der Staatsgewalt sind ihnen vertraut, schrecken sie nur mehr mäßig. So mancher CSU-Wähler mag sich noch an vergangene Live-Auftritte seines Stars erinnert haben, wo er, bei der Räumung des Platzes von Chaoten, sein Quantum Staatsdresche abbekommen hatte, noch ehe er, zum Zeichen seines Biedersinnes, den Trachtenhut zücken konnte. Praktische Staatsbürgerkunde.

Solcherart schützt sich Franz die eigenen Wähler von seinen Kundge­bungen weg. Auch recht.

Tränen, sagt man, lögen nicht; so gesehen hielt es das "Strauß spricht"-Plakat mit den Tränen.

Strauß sprach.

So aber wie die Götter vor den Erfolg den Schweiß, so haben Kundgebungs-Arrangeure vor den Strauß den bayerischen Destilliermarsch gesetzt. Kaum hatte das Vorprogramm das letzte aller Vorworte fallengelassen, da erhob sich ein patriotisches Gebläse als wie von einer Trachtenkapelle.

Das heißt, ich vermute, daß die eifrig geblasen haben, schließe das aus vereinzelten Tönen, die zu mir drangen, nachdem sie ihren Weg durch eine dichte Klangwolke aus Pfeifen und Johlen und "Strauß raus!" gefunden hatten. Es war ein Lärm, ein Lärm war das, wie's damals beim ersten und einzigen Original-Apostel-Pfings­ten ein Lärm gewesen sein muß. Es war das eigene "Ru - häää!"-Ge­brüll nicht mehr zu verstehen.

Unter all dem Gejohle, Gepfeife, Geblase erschien der Landesvater auf der Szene und begrüßte das tobende Volk.

Wer den Künstler von früheren Auftritten kannte, mußte enttäuscht sein vom Gebo­tenen. Franz blieb weit hinter seiner gewohnten Form zurück, so als hätte ihm jemand Valium in's Bier geschüttet.

Nur im direkten Dia­log mit dem Bürger zeigte er die Qualitäten, die ihn berühmt gemacht haben. Erregt rügte er zum Beispiel die Haartracht eines Zuhörers, machte ihm, mit der Autorität eigener männlich­er Schönheit, heftige Vorwürfe wegen mangelnder Pflege. Die zwischen den grünen Männern eingeklemmten Rufer und Taferlschwenker verglich er mit den Schlägerkolonnen von SA und SS.

Durch ständiges "Jude raus"-Rufen haben es damals SA-Männer geschafft, die Angesprochenen nach Auschwitz zu graulen, anhaltendes Schwenken mit "Stoppt Zion"-Plakaten in kernigen SS-Händen hat sie dort schließlich zu Tode verärgert. So war das damals.

So lahm die Darbietungen auf der Bühne blieben, so faszinierend waren die Vorgänge auf dem Platz. Vor allem das Staatsballett der Bayerischen Bereitschaftspolizei ver­mochte mit seinem disziplinierten Bewegungstanz zu gefallen. Immer wieder lösten sich einzelne Vortänzer vom Ensemble, drangen in den Raum zwischen der grünen Kette ein und luden darin befindliche Demonstranten zu einem burschikosen Kontretänzchen ein. Ein Grapsch, ein Griff, der Punk saß fest. Links und rechts gestützt wurde der Ergriffene geführt, wohin er nicht wollte, wie das Johannes-Evangelium (21,18) es einst dem Petrus verheißen hatte. Ein bißchen Strampeln mit den Füßen noch - das war man den umstehenden Freun­den und Genossen an Widerstand schuldig - und Franz hatte wieder einen Zuhörer weniger.

Bewegung kam auf, wenn das Ensemble in vollendeter Harmonie zusammenwirkte. Untergehakt schritten sie auf die verbliebenen Häufchen je­ner zu, die so aussahen, als könnten sie jeden Moment "Strauß raus" rufen, schoben sie langsam, doch energisch nach hinten.

Erwähnt wer­den sollten auch die hübschen Kostüme aus dem Fundus des Staats-Theaters. Das grüne Tuch der Uniformen war makellos, frisch gewaschen, ordentlich gebügelt, allerdings ein bißchen zu gesteift. Fließenderer Stoff hätte die Anmut des Balletts besser zur Geltung gebracht. Die weißen, steifen Häubchen waren blankpoliert, ein hübscher Einfall auch das schwarze Nackenleder und der bruchfeste Hartschleier vor den jugendfrischen Gesichtern. An den Füßen trugen sie schwarze Stie­felchen, wie die Kosaken aus dem "Zarewitsch". Um die Lende hatten sie ein freches Stöckchen geschnallt, dazu einen dezent verpackten Totbläser.

Durch die Räumaktion war es mit einiger Geduld möglich, sich allmählich nach vorne zu schieben.

Irgendwann war auch Franz dort droben - fast hätte ich ihn über all dem Schauen und Hören vergessen - zu einem Ende gekommen. Nun, nachdem alle Störer entfernt waren, hätte wirklich eine Ruhe sein können.

War aber nicht.

Der Begrüßungskrach erlebte eine Neuauflage, eher noch gewaltiger und klangvoller als zuvor. Es schien, als sei die Polizei auf einen hinterhältigen Trick hereingefallen. Indem sie sich auf grüne Haare, blaue Jeans und rote Taferln stürzte und diese verräumte, glaubte sie sich von weiterer Störung befreit. Übersah aber, daß ein Scheitel im Haar, eine Schnürlsamthose und eine lee­re Hand beim Rufen und Pfeifen nicht behindern.

Wenn ein argentinischer Gaucho eine Herde Vieh durch einen mit Pirañhas verseuchten Fluß treiben muß, so schlachtet er ein Tier und wirft es in den Fluß. Gierig stürzen sich die Raubfische auf das Opfer, und während sie nagen und schmatzen, kommt die Herde unbehel­ligt durch den Fluß. Ein Teil der Demonstranten hatte sich mit den bekannten "Hasch mich, Bulle"-Accessoires verkleidet, hatte alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen und so den Rest der Menge geschützt. Ein plumper Trick, der über alle Maßen gut funktionierte. Das Furioso des Fi­nales konnte sich ungestört von Polizei zu voller Lautstärke entfalten.

Die Band, was nur ganz vorn zu hören war, griff abermals zum Blech und spielte den zweiten Satz aus dem Kaiserquartett von Joseph Haydn. Ein fragwürdiges Unterfangen, Musik für Streichorchester, sensible Musik, für Blasorchester zu arran­gieren. So gottsjämmerlich, wie der Musikfreund nur immer fürchten mag, klang das mißhandelte Thema Haydns denn auch. Ein Paar trotzte der Barbarei; nahm das Geblasene für gestrichen und tanzte zu Haydns Tönen einen Walzer.

Freunde der Blasmusik: blast, wo ihr zu blasen findet; das Unblas­bare aber laßt ungeblasen!

Um die Verwirrung noch zu steigern, sangen auf dem Podium die Inhaber der Staatsgewalt zu Haydns Musik Zeilen aus einem Gedicht von Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Ein Gedicht übrigens, das seinerzeit die Staatsgewalt so erzürnte, daß der steckbrieflich gesuchte Hoffmann ins Ausland flüchten mußte.

Nach und nach trollte sich die Menge.

Zeit und Ruhe, ein paar Nachgedanken durch's Hirn flanieren zu las­sen.

Was hätte man an diesem Nachmittag - da Franzens Gegner bei weitem in der Mehrzahl waren - nicht alles an Unfug treiben können, gesetzt, man hätte Phantasie gehabt.

Stellt euch vor, es wäre ruhig geblieben am Haidplatz. Der Platz gefüllt mit Menschen, die rumstehen und sonst nichts. Einfach schweigen. Keine Hand rührt sich, kein Mund öffnet sich. Der Mann redet und der Platz schweigt ihn an. Gelegentlicher Beifall versprengter Sympathisanten, gewiß. Ein tadelndes "Pschschsch!", ein trockenes "Ruhe!". Stille.

Schweigen.

Franz, der all das Geschrei mit zufriedenem Grinsen Geschrei sein ließ, wäre an der Stille erstickt, halb ohnmächtig vor Wut.

Oder gar, man wagt es kaum zu träumen, es hätte sich der Platz ge­leert, kaum daß Franz mit Sprechen begonnen hätte.

Es wären alle gekommen und wäre keiner geblieben. 30 CSU-Funktionäre, bewacht von 200 Polizisten auf dem leeren Platz. Die Peinlichkeit der Situation wäre sachte und durchdringend zum Himmel gestiegen.

Und: es gibt kein Mittel dagegen; nichts hilft gegen ein bißerl Phantasie und eine Menge Disziplin.