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MEINE FRESSE, DEINE FRESSE

Von der Physiognomie als Argument

Wer die Etymologie - die Lehre von der Herkunft der Wörter - sich zum Hobby erwählt hat, muß Spott ertragen können. Wer - ohne als behördlich anerkannter Germanist die mildernden Umstände professioneller Wißbegier zu Zwecken des Broterwerbs vorschieben zu können - nicht nur frägt: Was bedeutet dies Wort? sondern in der Fragestellung weitergeht: Was bedeutete das Wort früher? Aus welchem Wort leitet es sich ab? Mit welchen Wortfamilien ist es verwandt? - wer dieses frägt, gerät gar zu leicht in den Ruch eines Spinners und pedantischen Wortklaubers.

Ich aber - wahrlich! - ich sage Euch: Wer weiß, wo die Worte herkommen, der weiß wo die Begriffe herkommen. Wer aber den Ursprung der Begriffe kennt, der kennt auch den Ursprung der Dinge (soweit er sich in den Köpfen der Menschen spiegel­te). Fünf Minuten in einem guten etymologischen Lexikon geblättert (Wahrig: Deutsches Wörterbuch; ein Riesen-Kompendium für lasche fünfzig Eier) und man wird der Albrigkeit jener feministischen Gewohnheit gewahr, "frau" zu schrei­ben anstatt des gebräuchlichen "man". "man" leitet sich in der Tat von "Mann" ab; "Frau" aber - nicht minder. "Frau" heißt im Althochdeutschen "frouwa" - "Herrin" und ist die feminisierte Form von "fro" oder "fron" - "Herr" (siehe z. B. "Frondienst" oder "Fronleichnam"). Wie im Englischen ("man" - "wo-man") so besitzt auch im Deut­schen die Frau kein eigenes, eigenständiges Wort, sondern existiert sprach­lich nur als Funktion, als Ableitung des Mannes (wenn auch mittlerweile etwas verschleierter als im Englischen). Daß das so ist, sagt nichts über die Frauen aus, sondern über die deutsche Sprache. Diese wiederum - ich erwähnte es eingangs - läßt Schlüsse zu auf jene, die diese Sprache sprechen oder früher gesprochen haben; über das, was in ihren Köpfen vorging und vor allem über die materiellen und gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Gedanken.

Ich seh' schon, ich verquatsche mich; ich plaudere hier über den männlichen Ur­sprung der Frau und wollte eigentlich vom "Demo­kra­ti­schen Jugendzirkel" erzäh­len.

JE ZAHNLÜCKE DESTO MIESLING?

Besagter Zirkel, welcher dem "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" - vor­sichtig ausgedrückt - nahesteht, hatte im August überall in der Stadt ein Pla­kat hängen, auf welchem Klage geführt wurde über den demagogischen Charakter von Helmut Kohls Lehrstellenversprechen. So weit, so gut und verdienstvoll.

Dies Plakat wird optisch beherrscht von einem Porträt eines lachenden Kohl-Kanz­lers; und - beim ersten Plakat, beim zweiten noch hielt ich es für Zufall - dem Kanzler fehlt ein Zahn. Einer seiner oberen Schneidezähne ist auf dem Foto geschwärzt, ist vom Eindruck her nicht mehr da. Das breite Kohl-Lachen wird durch dieses winzige Detail merkwürdig schief, ungewohnt - häßlich.

"Häßlich" heißt im Althochdeutschen "hazlih" und bedeutet ursprünglich "Haß erregend". "Haß" wiederum ist etymologisch sehr eng verwandt mit "hetzen".

Die Methode des Demokratischen Jugendzirkels, der kleine schwarze Fleck in des Kanzlers Gesicht, verfolgt die etymologische Stammlinie zurück. Sie ist so alt wie mies.

RICHARD III. UND HELMUT II.

Die Geschichtsschreiber der Tudor-Zeit zum Beispiel ([1]) haben - um den äußerst wackligen Anspruch der Tudors auf den Königsthron gegenüber den Plantagenets in seinen beiden Linien Lancaster und York zu stützen - König Richard III. nicht nur zum sexuellen Wüstling und Mörder seiner eigenen Neffen gefälscht, sie haben ihm auch hinkenden Gang und einen veritablen Buckel angedichtet ([2]). Die Staatsräson der Tudors verlangte nach einem hassenswerten Richard, dem letzten Plantagenet-König vor Heinrich VII., dem Großvater der jungfräulichen Elisabeth I., und also schuf man sich ihn. Und schuf ihn so, daß dem haßerregen­den (hazlih) Charakter ein häßlicher Körper entsprach. Die Physiognomie wird zum politischen Argument.

Dieses demagogischen Kurzschlusses leichtfertig ([3]) sich bedient zu haben, ist dem Demokratischen Jugendzirkel energisch vorzuwerfen. In Konsequenz treffen sie damit nämlich nicht den schwarzen Kanzler - den kratzt der Zirkel wenig -, sondern Jene, die irgendein Gebrechen, irgendeine kosmetische Unregel­mäßigkeit im Gesicht oder sonst am Körper tragen. Sie leisten auch umgekehrt jener Einfalt Vorschub, welche glauben möchte, es sei ein strahlendes Lächeln, ein wohlgebauter Körper und ein regelmäßiges, schönes Antlitz Gewähr genug für einen vertrauenswürdigen Menschen.

 


[1]      Die bekannten "Stürmer"-Karikaturen wollte ich hier nicht aufführen. Der Demokratische Jugendzirkel würde damit in eine Verwandtschaft gerückt, die er nun wirklich nicht verdient.

[2]     Der große Shakespeare vor allem hat die Legende vom buckligen Monstrum über die Jahrhunderte verbreitet. Wahrscheinlich ist bereits er auf die gefälschten Quellen hereingefallen.

[3]     Leichtfertig und vergleichsweise harmlos, ich geb' es zu.